• .
  • Willkommen im Forum!
  • Alles beim Alten...
  • Du hast kaum etwas verpasst ;-)
  • Jetzt noch sicherer mit HTTPS
Hallo, Gast! Anmelden Registrieren


Streuinduktivitäten messen
#1
Die exakte Vermessung eines Trafos ist nicht trivial. Wir benötigen exakte Messungen zur Anfertigung exakter Simulationsmodelle.


Wer die Diskussionen und Forschungen der letzten Zeit verfolgt hat, hat entdeckt, dass kahlo funktionierende Modelle für sättigbare Trafos mit zwei und drei Wicklungen hinbekommen hat. Das ist ein Durchbruch, weil wir damit nun auch Röhrenverstärker, Transduktoren, Netzteile usw. realistisch simulieren können.

---

Wie zuverlässig damit reale Entwicklungen werden, hab ich in unserem DAMPF-Thread "ETF Demolition" gezeigt:

http://include.php?path=forum/showthread...eadid=1188

Dort war die Sättigung eines luftspaltlosen RK-Ausgangstrafos in einem SE-Amp durch einen Kompensationsstrom zu vermeiden. Ohne realistisches Trafomodell nicht zu simulieren.

---

In kahlos Modellen wird zwar die Sättigung und die parasitären Widerstände simuliert, nicht aber die Streuinduktivität - jedenfalls noch nicht in korrekter Weise. Bei Streuinduktivitäten handelt es sich um gedachte Induktivitäten, die den Wicklungen eines 100% gekoppelten Trafos vorgeschaltet sind, wodurch man beschreiben kann, dass einige Feldlinien die anderen Trafowicklungen nicht durchfließen.

In unserem LTSpice gibt es serienmäßig zur Beschreibung dieses Problems einen "Koppelfaktor", der allerdings für den ganzen Trafo wirkt, also ein grober Summenparameter ist.

---

Wir wollen also die Streuinduktivitäten messen! Ein einfacher Trafo könnte im Ersatzschaltbild so aussehen:

[Bild: 1_streu_1.png]

An die Innereien dieses Ersatzschaltbildes kann man nicht heran. Primär- und Sekundär-Kreis sind über einen vollständig koppelnden Trafo verbunden. Jeder Kreis verfügt über parasitäre Widerstände, Kapazitäten und Induktivitäten.

Üblicherweise werden Trafos dadurch gemessen, dass man den Sekundärkreis kurzschließt, wodurch die sekundäre Streuinduktivität in den primären Kreis "hineintransformiert" wird und der Trafo praktisch bedeutungslos wird. Auf diese Weise kann man vorzüglich messen, erhält allerdings nur die Streuinduktivität von Primär nach Sekundär als Summenparameter.

Gerds Trafoseiten beispielsweise verfügen nur über Summenparameter.

Die Messung dieses Summenparameters geschieht mit einem (im Vergleich zu den parasitären Kapazitäten) großen Kondensator, den man mit der Primärseite koppelt und einem Sinusgenerator. Mit einem Messgerät wird dann der Resonanz-"Dip" bestimmt und nach der Resonanzformel die wirkende Streuinduktivität "Ls_prim + Ls_sek" berechnet.

Das funktioniert leider nicht immer gut. Manche Trafos resonieren äußerst schlecht. Der "Dip" ist klein oder enorm breit oder überhaupt nicht zu sehen. Manchmal gibts auch mehrere Dips. Und trotz diese Mühen kann man nur einen Summenparameter bestimmen.

Wir wollen also nicht mehr und nicht weniger, als eine neue Messmethode entwickeln! Cool


Diese will ich hier vor- und zur Diskussion stellen.....
 
#2
Mir wurde von allen Seiten erzählt, dass eine selektive Messung jeder einzelnen Streuinduktivität Humbug ist. Meine erste Idee war, den Trafo zu sättigen und so die beiden Kreise zu entkoppeln. Die Simulationen zeigten, dass es hinhauen könnte. Leider kannte die Praxis die Simulationen noch nicht und ich scheiterte.

Daraufhin überlegte ich mir, dass die Streuinduktivitäten doch irgendwas bewirken müssen. Denn wenn sie nichts bewirken würden, so würden wir sie ja auch nicht messen wollen. Wink

Als Messobjekt dient ein RK-Trafo, dessen 230V-Wicklung unbeschaltet bleibt. Ich messe von 12V auf 12V, also ein 1:1-Trafo. Dieser ist nach dem Resonanzverfahren nicht messbar, weil kein Dip sichtbar ist.

Ich erinnerte mich, dass in Spice mit einem Koppelfakor ausgestattete Trafos stets zum "Klingeln" (Überschwinger) neigen, was besonders bei Rechteckspeisungen auftritt. Dieses "Klingeln" ist also direkt mit den Streuinduktivitäten in Verbindung stehend.

Zu meinem Entzücken zeigte auch die Realität diesen Effekt! Oben die Speisespannung an der Primärseite. Unten die mit dem Oszi abgegriffene Spannung an der Sekundärseite:

[Bild: 1_Ls_10.JPG]

---

Da ich sekundärseitig nur mit dem hochohmigen Oszi abtaste, ist der Sekundärkreis praktisch stromfrei. Wenn dort aber kein Strom fließt, so sollte Rs_sek auch belanglos sein. Zur Kontrolle dieser Vermutung habe ich in Reihe mit den sekundären Anschlussklemmen eine kapazitätsarme 330uH-Induktivität geschaltet:

[Bild: 1_Ls_11.JPG]

Wie erhofft, zeigt sich keine Änderung des Klingelns.

---

Auf der Primärseite sieht das ganz anders aus. Da ich primärseitig mit einem niederohmigen Generator (Ri=0) Impulse einspeise, bildet sich primär ein geschlossener Schwingkreis. Er besteht aus Spulen, parasitären Kapazitäten, Wicklungswiderständen und Verlustwiderständen (die dafür verantwortlich sind, dass es sich um ein gedämpftes "Klingeln" handelt). Sobald ich dort meine 330uH einschleife, verändert sich das Bild dramatisch:

[Bild: 1_Ls_12.JPG]

---

Kann man aus dem Klingeln auf Rs_prim zurückrechnen? Die Oszi-Messungen zeigen folgende Periodendauern:

- unbekannte Ls_prim: 0.8 cm * 10 us/cm = 8us
- unbekannte Ls_prim + 330uH: 2.6 cm * 10us/cm = 26us

Aus der Resonanzformel kann man ableiten, dass L proportional zum Quadrat der Periodendauer ist.

Also ergibt sich: L1 / (L1 + L2) = t1² / t2²

L1 ist die unbekannte Ls_prim
L2 ist 330uH
t1 ist 8 us
t2 ist 26us

Netterweise hat Volti mir die Formel nach L1 aufgelöst:

L1 = (L2 * t1² / t2²) / (1 - t1² / t2²)

was also 34,6 uH ergibt.

Ohne Formelumstellungshilfe hatte ich vorab 30 uH geschätzt und die Dämpfungswiderstände und parasitären Kondensatoren der Realität angepasst und erhielt folgende Simulation (Bezeichner "L1"-"L4" haben nichts mit Voltis Formel zu tun!)...

[Bild: 1_streu_7.png]

die sich bestens mit der Realität deckt. Nach Einsetzung der errechneten 34.6uH sogar noch besser.

Die von mir willkürlich eingesetzten parasitären Kondensatoren verfälschen nichts am Modell (sie sind sehr groß, was ich auf den rumbaumelnden 230V-Kreis mit seinen eigenen großen Kapazitäten zurückführe), weil es nur um das Verhältnis der Periodendauer relativ zur Induktivität geht. Kondensatoren können an diesem Verhältnis prinzipiell nichts ändern. Die können nur die Frequenz verschieben.

Es müssen 8us vs. 26us rauskommen, wenn ich die 330uH primär einschleife. Genau das passiert, wenn ich Rs-prim auf 34,6 uH festlege.

--------

Als Nebeneffekt erhält man aus der beschriebenen "Klingel"-Analyse auch gleich noch die Dämpfungswiderstände, die das Modell noch weiter vervollständigen
 
#3
Es ist sicher richtig, die relativ hohe Ersatzkapazität von 25n als rücktransformierte Parallelkapazizität der 230V-Wicklung zu interpretieren.
Diese 3. gekoppelte Wicklung mit vmtl mehreren 100pF Parallelkapazität bewirkt also das beobachteten klingeln.
...mit der Lizenz zum Löten!
 
#4
Ein Modell soll sich so verhalten, wie die Realität. Warum der Trafo klingelt, sollte uns eigentlich egal sein. Wenn sich das Modell exakt so verhält wie die Realität, so haben wir das Ziel erreicht.

Und das ist - zumindest in der gezeigten Messschaltung bei 10kHz Messfrequenz - fraglos der Fall. Die Gleichheit zwischen Oszi und Simu ist begeisternd.


Alles weitere stelle ich zur Diskussion. Andere Frequenzen. Irgendwelche Kapazitäten parallel zur 230V-Wicklung oder was auch immer. Der Messplatz ist einsatzbereit. Ich bin offen für alles. Big Grin
 
#5
Welche Streuinduktivität hattest du mit der Kurzschlussmethode gemessen? Also 230V-Wicklung offen, sekundäre 12V-Wicklung kurzgeschlossen?

[SUP]Es müssen 3 Wicklungen modelliert werden...[/SUP]
 
#6
Da hatte ich ungefähr 10mH gemessen. Aber der Dip war elendiglich breit. 20mH sind auch möglich.

Drei Wicklungen simulieren

Ja. Mach ich als nächstes. Ich vermute, dass dann meine 25nF wieder kleiner werden.


Aber ich hab zuvor mal ne ganz blöde Frage: wie misst man eigentlich Streukapazitäten? Das wäre sehr hilfreich. Dann muss ich mir die nicht ausdenken. misstrau
 
#7
Zitat:Original geschrieben von kahlo

Welche Streuinduktivität hattest du mit der Kurzschlussmethode gemessen? Also 230V-Wicklung offen, sekundäre 12V-Wicklung kurzgeschlossen?

[SUP]Es müssen 3 Wicklungen modelliert werden...[/SUP]


Ächz... nicht dass wir uns missverstehen:

12V auf kurzgeschlossenes 12V ist unmessbar. Kein Dip

Nur 230V auf ein oder zwei kurzgeschlossene 12V sind messbar. Breiter Dip.
 
#8
Die Wicklungs-Parallelkapazitäten bekommst Du über Parallelresonanzmessungen, wobei Lres die normale Wicklungsinduktivität ist. Das sind die Kapazitäten die mit den Streuinduktivitäten "räsonieren".

Koppelkapazitäten zwischen den Wicklungen dagegen sind ein anderer Schnack, aber zumindest bis 20khz eher belanglos.
...mit der Lizenz zum Löten!
 
#9
Ok... und L_prim und L_sek bestimme ich per normaler Leerlaufmessung. Ok... verstanden.

Wir werden zum Schluss vermutlich eine Messvorschrift erarbeiten, die alles Schritt für Schritt aufschreibt. Wir betreten Neuland, Jungs. Kahlos Modell ist ein sicherer Podest für den jetzt kommenden Feinschliff.
 
#10
Anmerkung
Insgesamt belastest Du in der Simu die 12V-Seite mit 25n+25n, demnach

np:ns = 230 : 12 = 20

50nF entsprächen also 50n/400 = 125pF rücktransformierter Primärkapazität. Die Größenordnung stimmt schon mal!
...mit der Lizenz zum Löten!
 
#11
Supi! Heart

-------------

Ich kann leider erst ab 17:00h messen. Hier ist noch zuviel Real-Stress.

Wahrscheinlich wird mein kleiner RK-Trafo der bestvermessene Trafo in Deutschland werden lachend
 
#12
Dies erscheint mir ein wenig vermessen! klappe
...mit der Lizenz zum Löten!
 
#13
Dieses Handgekurbel ist äußerst nervig, wenn man noch kein Händchen dafür hat, wo man runterkommen wird. Bin daher auf Wobbler umgestiegen.
 
#14
Alles offen. Vermessung der 12V.

Generator mit 10k Serienwiderstand und 100nF: Serienresonanz bei 2kHz. Ergibt 63mH.

Eigenresonanz (Parallelresonanz) bei 3.5kHz ergibt 32 nF (ich hatte ja 25 nF angenommen).

Mächtig gewaltig! Heart

Nun die Primärseite..... misstrau
 
#15
230V-Wicklung

100nF und 230V resoniert bei 95 Hz. Ergibt 28 H.

Eigenresonanz ist nicht feststellbar. Kein Dip. Ich kann also die primäre Streukapazität so nicht bestimmen. Bei (verteilten) paar hundert Picofarad eigentlich auch nachvollziehbar.
 
#16
Ich hab primär noch mal von Hand nachgemessen. Geht halt doch genauer. 1,8kHz. Also 78mH.

Eigenresonanz bleibt bei 3.5kHz (ziemlich breit). Ergibt 26nF.

Bingo

 
#17
Also nochmal gebündelt:

12V: L = 78mH, C = 26nF
230V: L = 28 H, C nicht messbar

----------

Damit versuche ich jetzt mal, einen 3-Spulen-Trafo zu simulieren.
 
#18
[Bild: 1_Ls_12.JPG]

[Bild: 1_streu_8.png]

Ich bin noch nicht ganz zufrieden mit den Dämpfungswiderständen. Ich hab sie jetzt so gewählt, dass die niedere Frequenz richtig gedämpft wird. Bei der hohen Frequenz (also gebrückter 330uH-Induktivität) ist die Dämpfung jedoch viel zu gering. In der Realität ist es völlig umgekehrt.

Da könnte das Ersatzschaltbild also noch ne Nachbesserung erfahren. misstrau

Aber im Moment geht es uns ja erstmal nur um die Streuinduktivitäten.
 
#19
Und nun? Wie gehts weiter?
 
#20
Die Dämpfungswiderstände sind in der Realität frequenzabhängig!
Und zwar aufgrund von Stromverdrängungseffekten: Skin-Effekt und Proximity Effekt.
Es nehmen also die REAL-Teile der komplexen Impedanzen über der Frequenz zu.
Das kann spice naturgemäß nicht simulieren.
Zumal es keineswegs um eine einfache Proportionilität über der Frequenz geht, sondern irgendwelche gebrochenen Potenzen.
Da kann man also nur verschiedene reelle Widerstände bei verschiedenen Frequenzen ausprobieren.

Der relative simple skin-Effekt läßt sich zwar noch durchrechnen, der wird aber meist dominiert vom proximity-Effekt, und da geht es um die konkrete Wicklungsgeometrie, Lagenzahl usw.
Die Berechnung dieser Widerstände habe ich schon lange aufgegeben.
Mit einem professionellen network-analyzer kann man so etwas bei jeder Frequenz messen. Wenn man hat...
...mit der Lizenz zum Löten!